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Am Sonntag Quasimodogeniti begrüßt Ralf-Andreas Gmelin mit einer kurzen Erläuterung die Gottesdienstgemeinde, bevor die Predigt  Jesaja 40,26-31 betrachtet:

Wie die neugebornen Kindlein, "Quasimodogeniti" heißt dieser Sonntag, an dem der verstorbene Bischof Johannes Dyba in Fulda die Glocken läuten ließ für die Kinder, die nicht geboren werden durften, weil die Entscheidung ihrer Eltern gegen sie ausfiel. Vermutlich hat es nichts genützt, auf diese Weise die schwächsten Opfer unserer Zeit an die große Glocke zu hängen; aber richtig daran ist, dass Christen die Aufgabe haben, sich für die Schwachen und Unselbständigen einzusetzen, vor und nach ihrer Geburt.

Der Kirchenkritiker und Journalist Christian Nürnberger hat dazu einen trefflichen Kommentar abgegeben:

"Ich freute mich ... jedes Mal, wenn der Papst unsere Gesellschaft mal wieder mit einem dieser Reizthemen nervte und Dyba dazu die Glocken läutete. Ich finde zwar, dass es absolut die falschen Themen sind, mit denen der Papst nervt und manche Bischöfe herumlärmen, aber ich bin froh, dass der Papst überhaupt noch nervt und ein paar Bischöfe unserer Gesellschaft in die Suppe spucken, auch wenn sie danebenspucken."

Zu solchem Widerspruch im Sinne der Schwachen ermutigt auch die Bibelstelle, nach der dieser Sonntag ursprünglich seinen Namen trägt. Der 1.Petrusbrief (2,1-5) fordert uns auf:

"So legt nun ab alle Bosheit und allen Betrug und Heuchelei und Neid und alle üble Nachrede
und seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kindlein,
damit ihr durch sie zunehmt zu eurem Heil,
da ihr ja geschmeckt habt, daß der Herr freundlich ist.
Zu ihm kommt als zu dem lebendigen Stein, der von den Menschen verworfen ist,
aber bei Gott auserwählt und kostbar."

Dass bei Gott kostbar ist, was von uns Menschen verworfen und beseitigt wird, das gehört zu der Botschaft dieses Sonntags nach Ostern, der in der katholischen Tradition auch "Weißer Sonntag" heißt.

Der heutige Gottesdienst will uns beflügeln, will uns Mut machen abzuheben für das, was bei Gott kostbar ist. Ich wünsche uns allen ein bisschen Leichtigkeit, damit wir von unserem Alltag etwas abheben können.
 

Die Predigt beginnt mit einer Lesung des Textes aus dem  Jesajabuch im 40. Kapitel:

"Hebt eure Augen in die Höhe und seht!
Wer hat dies geschaffen? ...
Der HERR, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt,
sein Verstand ist unausforschlich.
Er gibt dem Müden Kraft,
und Stärke genug dem Unvermögenden.
Männer werden müde und matt,
und Jünglinge straucheln und fallen;
aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler,
daß sie laufen und nicht matt werden,
daß sie wandeln und nicht müde werden.

DU, tu meine Lippen auf, dass mein Mund Deinen Ruhm verkündige.
 

Liebe Gottesdienstgemeinde,

diese Woche im Mainzer Unterhaus. Der Kellersaal ist voll. Wer hier sitzt, hat Eintritt bezahlt und zwei Stunden seines Lebens einem kabarettistischen Programm gewidmet. Dann kommt der Auftritt: Ein Mann kommt auf die Bühne, er hat ein Mikrophon in der Hand und stellt ein Glas Wasser auf einen Tisch. Mehr Ausstattung gibt's nicht. Er beginnt zu sprechen. Er spricht freundlich, ein wenig zurückhaltend, behält immer einen maßvollen Ton. Im Grunde fällt es mir zum dritten Mal auf: Ob in der Phönixhalle vor tausend Zuschauern oder im Keller des Unterhauses: Kabarett ist wie eine Predigt ohne Kirche. Der Kabarettist Urban Prioll hat sogar eine Art Kanzel, von der er sein Programm abliest.

Ein paar Kostproben - in diesem Fall - von Dieter Nuhr aus seinen Internet-Beobachtungen:

Ostern
Das war wieder ein Osterfest. Kein Hase weit und breit, dafür ein Eiweißschock. Warum werden Eier eigentlich innen grün, wenn man sie zu hart kocht? Heißt es dann immer noch Eigelb oder doch Eigrün? Welche Chemikalien nimmt man beim Ostereier essen eigentlich zu sich, wenn die hartgekochten Eier durch die Schale gefärbt sind und das Weiße aussieht wie ein vom nächstgelegenen Hippie selbst gebatiktes Shirt? Ließe sich die durchschnittliche Lebenserwartung in diesem Land vielleicht steigern, wenn man die Eier nur noch mit Tee oder Blütenpollen färben würde? Und was würde das für unsere Rentenversicherung bedeuten? Färbt Herr Riester vielleicht die Eier, um die Kasse zu entlasten? Ist der Osterhase Sozialdemokrat? Oder ein Grüner? Ist er freilaufend? Und warum sieht man ihn dann nicht? Warum versteckt man sich, wenn man nichts zu verbergen hat? Ist der Osterhase nicht ein heidnisches Symbol, das die Christlichkeit des Festes zu verdrängen sucht? Und das versteckt? Da stimmt doch was nicht."

Einige Wochen zuvor betrachtete Nuhr das  zuende gehende Fastnachtsfest:

"Ist am Aschermittwoch wirklich alles vorbei?
Das Schlimmste wenigstens... Und in ein paar Stunden ist es soweit. Noch ein paar jecke Sitzungen, die letzten Witze aus den Bereichen Menstruation, Sex oder Unterhose, und dann ist Feierabend... Nur ein paar Fragen bleiben: Hat Karneval etwas mit Humor zu tun? Und wenn ja, was ist dann Humor? Nun. Auf diese Frage gibt es wohl keine allgemein gültige Antwort. Viele Menschen behaupten, der Mensch lache über falsche Zähne und schräge Perücken. Diese Meinung ist falsch, und wer sie äußert, muss zur Strafe beim Fernsehen arbeiten. Andere glauben, Humor sei, beleidigt zu gucken und zu sagen, dass die da oben doch immer alles falsch machen und ganz doll doof sind. Diese Menschen nennt man Kabarettisten. Sie wohnen meist gemeinsam mit ihrem Publikum im Osten unseres Landes. Im Westen aber besteht Humor häufig aus der Einnahme ungesunder Mengen Alkohol zur Betäubung des Bewusstseins und anschließendem Abspulen unzusammenhängender Geschichten aus dem Genitalbereich. Es gilt die Gleichung: Je weniger Sex man hat, desto lauter wird gelacht. Humor in Ost und West orientiert sich also an den großen Leitfiguren der Epoche: im Osten der beleidigte Betrogene, im Westen der rumprollende, geistesschwache Nichtsmerker. Ich suche deshalb für meine nächsten Auftritte ein möglichst humorloses Publikum. Bitte. Bitte!!!"

Szenenwechsel. Berlin. Ein junger Mann, Anfang zwanzig, er bemüht sich um Aufnahme in einer Schauspielschule, hat noch Erinnerungen an seine Evangelische Kirche. Er war seit seiner Konfirmation durchaus ein paar Mal da. Wenn er davon spricht, dann höre ich ein bisschen Mitleid mit dem, was da zwischen Altar und Kanzel stattfindet. An diesem Wochenende trifft er sich mit einem Freund im buddhistischen Zentrum. Als er wiederkommt, erzählt er, es sei um die Liebe gegangen. Im Grunde ein freundlicher Vortrag über die Dimensionen der Liebe. Ich denke mir: Der hätte auch als Predigt stattfinden können.

Was langweilt Menschen so sehr an Gottesdiensten, die nun einmal zu den Wurzelsträngen unserer deutschen und abendländischen Kultur gehören? Warum sind die kabarettistischen Predigten von den  Priestern der Kleinkunst so erfolgreich und warum kommen die Vorträge, deren Wurzeln einige tausend Kilometer weit weg stecken manchem so viel spannender vor, - auch wenn sie sich inhaltlich gar nicht so sehr unterscheiden?

Vielleicht fragen Sie sich schon länger, was meine Predigt mit dem Predigttext zu tun hat. Er ist die Antwort auf meine Frage, warum es manchem schwerer fällt, am Sonntagmorgen kostenlos einem Gottesdienst zu folgen, als Abends für teuren Eintritt einem Programm zu lauschen. Beide Veranstaltungen - oder auch die Vorträge aus dem fernen Osten, sie versprechen einen Kick gegen die Müdigkeit, ein bisschen Energie und dass wir uns nicht schlapp am Boden entlang hangeln müssen: Dieser Kick kommt aus der "Witzigkeit". Diese Witzigkeit des Kabaretts, von Fernsehklamauk und Radiospot besteht in der verkleideten Alltäglichkeit: ich bekomme das geboten, was mir ohnedies vertraut ist, aber es bekommt eine verrutschte Perücke aufgesetzt oder es wird in eine ungewöhnliche Umgebung hineingeredet. Im Gottesdienst hingegen, werde ich mit etwas befremdlich Anderen konfrontiert. Im Jesajabuch wird das so ausgedrückt:

Er gibt dem Müden Kraft,
und Stärke genug dem Unvermögenden.
Männer werden müde und matt,
und Jünglinge straucheln und fallen;
aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler,
daß sie laufen und nicht matt werden,
daß sie wandeln und nicht müde werden.

Der Gottesdienst ist sperriger als eine witzige Kabarettnummer und er setzt auch mehr voraus als ein buddhistischen Vortrag. Dies: "Die auf den HERRN harren" ist wohl das Problem.

Wer wartet heute auf Gott? Der Blick ins ferne Afrika entdeckt eine dramatische Antwort:

In einer ap-Meldung vom 25. Januar dieses Jahres hieß es:

"Bei einer Veranstaltung des deutschen Predigers Reinhard Bonnke sind in Nigeria mindestens drei Menschen zu Tode getrampelt worden. Weitere Personen wurden nach Polizeiangaben vom Freitag schwer verletzt. Mehrere tausend Menschen hätten am Vortag versucht, durch ein teilweise geschlossenes Tor ins Stadion der Stadt Abeokuta zu gelangen, erklärte ein Polizeisprecher. Dabei seien einige gestürzt und von Nachfolgenden überrannt worden. Bereits 1999 waren bei einer Versammlung Bonnkes 14 Menschen bei dem Versuch getötet worden, den Erweckungsprediger zu berühren. Kritiker werfen dem Deutschen vor, die Spannungen zwischen Muslimen und Christen in dem westafrikanischen Staat anzustacheln." (nach Frankfurter Rundschau, Januar 2002)

 Es gibt sie dort, die Massen, die sich nach irgendetwas drängen, was mit religiösem Heil zu tun hat. Die ihre Begeisterung so trägt, dass sie alles riskieren. Aber wie so oft, wenn ihr Temperament Menschen abheben lässt, werden andere zu Boden getrampelt.

"Männer werden müde und matt, und Jünglinge straucheln und fallen;
aber die auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit Flügeln wie Adler."

Wir wissen nicht, was den Jüngern des Reinhard Bonnke Flügel verleiht, aber wir lesen, das viele gestrauchelt und gefallen sind. Die begeisterten Massen sind eben keine Bilder des Harrens auf Gott. Geduldiges Warten überrennt keine Mitmenschen.

Und ohne dieses vertrauende Warten auf Gott, ändert sich auch die andere Hälfte der Aussage:
"Die in ihrem Fanatismus energisch nach vorn drängen, kriegen keine neue Kraft,
sie fahren nicht auf mit Flügeln wie Adler,
sie laufen und werden dadurch matt,
sie wandeln und werden müde."

Das Harren auf Gott bekommt in unserer Zeit eine bedrängende Dimension, die der in der Begrüßung schon einmal genannte Christian Nürnberger so beschrieben hat:
"Am Beginn des dritten christlichen Jahrtausends geht es nicht um dies oder das, um Pille oder Jungfrauengeburt, um Zölibat oder Gottessohnschaft, sondern nur noch um das Ganze, um Gott.  Und um eine Welt, die wir demnächst Atom für Atom beliebig umbauen können und die uns anscheinend keine Grenzen der Manipulierbarkeit mehr setzt und uns zwingt, selbst unsere Grenzen zu setzen."

Damit wir Menschen uns hier unten auf der Erde als Menschen erkennen können, wäre es gut, wenn wir uns aus der Perspektive Gottes betrachten könnten: Von oben: Wenn wir auf uns hinunter schauen, dann nehmen wir uns nicht mehr so ernst und müssen nicht verbissen Grenze um Grenze einreißen. Darum ist es so wichtig, dass wir ab und zu abheben, dass wir den Alltag unten vergessen und in der Leichtigkeit des Seins schweben. Dazu verhilft ab und zu eine Predigt -  hoffe ich doch. Und dazu verhilft auch oft das Lachen. Ich überlege, ob in dieser Hinsicht nicht mancher Kabarettist auch auf der Kanzel eine gute Figur abgeben würde.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie auf den HERRN harren,
dass Sie spüren, dass Sie neue Kraft kriegen,
und dass Sie auffahren wie mit den Flügeln des Adlers.
Damit Sie und ich erkennen: Ich bin ein Mensch und kein Gott.
Lasst uns Gott geben was Gottes ist und uns unserer menschlichen Grenze nicht schämen.
Lass uns DU ins Licht DEINER Höhen schweben,
denn dein Friede, welcher höher ist denn alle Vernunft, bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo, Jesu, Amen.