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Die Osterpredigt am 31.März 2002 von Ralf-Andreas Gmelin betrachtet die Ostergeschichte, und die Deutung, die Paulus im 1. Brief an die Gemeinde in Korinth gibt, (15, 1-11), die älteste Stelle im Neuen Testament, die die Auferstehung von Jesus Christus bezeugt. Paulus zählt hier auf, wer alles die Auferstehung erlebt hat. Und auch er selbst ist es zuletzt gewesen, der die lebendige Kraft von Jesus Christus gespürt hat, diese Kraft, die unser Leben verändern will.

Wir hören auf das 15. Kapitel des esten Briefes des Paulus an die Gemeinde in Korinth:

Ich erinnere euch aber, liebe Brüder,

an das Evangelium, das ich euch verkündigt habe,

das ihr auch angenommen habt,

in dem ihr auch fest steht,

durch das ihr auch selig werdet,

wenn ihr's festhaltet in der Gestalt,

in der ich es euch verkündigt habe;

es sei denn, daß ihr umsonst gläubig geworden wärt.

Denn als erstes habe ich euch weitergegeben,

was ich auch empfangen habe:

Daß Christus gestorben ist für unsre Sünden

nach der Schrift; und daß er begraben worden ist;

und daß er auferstanden ist am dritten Tage

nach der Schrift;

und daß er gesehen worden ist von Kephas,

danach von den Zwölfen.

Danach ist er gesehen worden

von mehr als fünfhundert Brüdern auf einmal,

von denen die meisten noch heute leben,

einige aber sind entschlafen.

Danach ist er gesehen worden von Jakobus,

danach von allen Aposteln.

Zuletzt von allen ist er auch von mir

als einer unzeitigen Geburt gesehen worden.

Denn ich bin der geringste unter den Aposteln,

der ich nicht wert bin, daß ich ein Apostel heiße,

weil ich die Gemeinde Gottes verfolgt habe.

Aber durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.

Und seine Gnade an mir ist nicht vergeblich gewesen, sondern ich habe viel mehr gearbeitet als sie alle;

nicht aber ich, sondern Gottes Gnade, die mit mir ist.

Es sei nun ich oder jene:

so predigen wir, und so habt ihr geglaubt.

Herr, tu meine Lippen auf, dass mein Mund deinen Ruhm verkündige.

Liebe Ostergemeinde,

der Mensch denkt und Gott lenkt.

Das ist Ostern.

Kaum denke ich, ich hätte alles begriffen,

kommt die Ostergeschichte mit ihrem: Denkste!

Die Freude von Ostern ist eine Freude auf dem Friedhof.

Die Auferstehung widerspricht allen Naturgesetzen.

Die unglaubliche Überraschung dieses Ostermorgens wird von drei Frauen bezeugt. Von Frauen, die in der Antike als Zeugen nicht zugelassen waren.

Diese drei Frauen haben die Nuss des Osterevangeliums als erste zu knacken.

Alles, was die drei Frauen gedacht hatten, wird durchkreuzt:

Zunächst dachten sie, es gäbe ein Problem mit dem gewichtigen Rollstein vor dem Grab.

Denkste: Der Stein ist weg!

Als nächstes wollten sie dem toten Körper Jesu einen Dienst tun. Ein Dienst, der uns auch heute nicht leicht fiele, der aber damals zu ihrer Zeit noch belasteter ist: Wer einen toten Körper berührt, wird unrein.

Aber auch hier Denkste:

Statt einen Dienst zu tun, werden die drei Frauen die ersten Zeugen eines Ereignisses, von dem der christliche Glauben seinen Ausgang nimmt.

Die dritte Enttäuschung ist typisch für das Trauern von Menschen: Wir möchten uns in die Stille verziehen,

für uns sein, vielleicht schweigen.

Aber, Denkste:

Der Engel gibt ihnen den Auftrag loszuziehen zu den feigen Männern, den Jüngern, die vor den Soldaten geflohen waren. Und sie sollen ihnen berichten.

Drei gravierende enttäuschte Erwartungen, drei deutliche Zeichen Gottes, dass er es anders kommen lässt als wir es uns ausdenken oder als wir es möchten.

Dennoch:

Drei positive, drei phantastische Enttäuschungen!

Und was tun die drei Heldinnen am Ostermorgen?

Sie gingen hinaus

und flohen von dem Grab;

denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen.

Und sie sagten niemandem etwas;

denn sie fürchteten sich.

Sie kriegen die Kurve nicht.

Der Weg bis zum Kreuz war schwer genug zu verstehen.

Zuschauen müssen, wie der stirbt, den man liebt.

Zuschauen müssen,

wie ein himmelschreiendes Unrecht begangen wird.

Zuschauen müssen,

wie sich die wenigen,

die auf einmal vom ohnmächtigen Freundeskreis Jesu noch übrig sind, klammheimlich verkrümeln.

Und jetzt wird alles anders.

Der Mensch denkt und Gott lenkt.

Und alle menschlichen Gedanken waren umsonst,

vergeblich und falsch.

So steht es mit unseren Gefühlen:

Mit dem Unglück haben wir's leicht.

Klagen und Jammern geht wie's Brezelbacken.

Aber wenn Gott alles zum Guten wendet,

wird es uns schwer, es auch nur zu begreifen.

Als Pfarrer kann ich leicht dieser Logik überführt werden: Immer wenn es möglich war, habe ich in der Vergangenheit jeweils an Karfreitag gepredigt und den Ostergottesdienst meinen Kolleginnen oder Kollegen überlassen. Der Klagegottesdienst fiel mir leichter als die Osterfreude.

Und was für eine klägliche Osterpredigt wird das, wenn so gar nichts von der Osterfreude hörbar oder gar erlebbar wird. Auf mittelalterliche Ostermärlein und ähnliche Scherze wollte ich mich auch nicht verlegen.

Das ist mein Problem mit Ostern:

Noch immer laufe ich von dem offenen Grab weg,

noch immer höre ich nicht auf den Engel,

oder auf die vielen Zeugen, die Paulus anführt,

noch immer lasse ich mich von Gottes Auftrag nicht mit der nötigen Begeisterung in die Welt schicken.

Es tröstet mich, dass es den Heldinnen der ersten Stunde nicht besser ging:

Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen.

Und sie sagten niemandem etwas;

denn sie fürchteten sich.

Ich bin nach fast zweitausend Jahren einen Schritt weiter. Ich stehe hier und halte eine Osterpredigt, - trotz meiner Furcht, daß Gott einen Strich durch alle meine Pläne, Erwartungen und Berechnungen macht. Trotz meines Entsetzens und meines Zitterns, daß ich entäuscht werde von dem, was von Gott kommt.

Das Ereignis am Ostermorgen braucht erst einmal ein paar Tage, Wochen und Monate, bis Paulus sie in wohlgesetzte Worte fassen kann:

"Dass Christus gestorben ist

für unsre Sünden nach der Schrift;

und dass er begraben worden ist;

und dass er auferstanden ist am dritten Tage

nach der Schrift."

Diese Lehraussage wird zur Quintessenz des christlichen Glaubens.

Ich halte diesen Satz für wahr, "dass er auferstanden ist am dritten Tage." Ich glaube, dass die Auferstehung eine große Bedeutung für mein Leben hat.

Aber ich jage der Bedeutung für mich,

für meine Pläne, für mein Glauben,

Leben und Sterben noch hinterher.

Die Auferstehung Christi aus der Ostergeschichte herauszuvernünfteln, wie es gern an Ostern unternommen wird, bedeutet nichts anderes, als sich vor dem Eigentlichen des christlichen Glaubens zu drücken.

Vor dem absolut Unglaublichen und Unmöglichen.

Credo quia absurdum sagte der Kirchenvater Tertullian schon im 2. Jahrhundert nach Christus: Ich glaube, gerade weil es völlig unsinnig klingt.

Der Ostermorgen ist der Morgen des Staunens darüber, dass Gott menschliche Pläne und unsere angeblich allmächtige Vernunft ad absurdum führt,

dass er uns unsere Erwartungen enttäuscht.

Das galt für die drei Frauen am Grab,

das galt für den Christenverfolger Paulus und seine Wende,

das galt für Kirchenvater Tertullian,

und dies gilt für jeden von uns.

Die Ostergeschichte ist die Geschichte,

dass Christus für uns auferstanden ist,

damit sich für uns etwas ändert.

Damit Freiheit und Liebe dort wirken,

wo vorher Bedrückung und Enge geherrscht haben.

Aber was bedeutet die Ostergeschichte jetzt in dieser Stunde in Palästina? Auich wenn die Christen in diesem Teil der Welt nicht viel zu melden haben: Ich wünsche mir etwas Auferstehungshoffnung für den Frieden, der von individuellen palästinensischen Terroristen ebenso ans Kreuz geschlagen wurde wie von dem israelischen Staatsterrorismus.

Was bedeutet die Osterbotschaft für Papst Johannes Paul II., für Karol Wojtyla, der sehr geschwächt ist und auch angesichts des verheerenden Gesichtsverlustes der Katholiken in den Vereinigten Staaten von Amerika nicht an einen Rücktritt denkt, weil, wie er sagt, auch Christus nicht von Kreuz gestiegen sei.

Ich wünsche mir, dass er die Freiheit dieses Christus aus der Osterbotschaft spürt, der nicht nur das Kreuz verlassen hat, sondern auch das Grab.
 

Wahrhaftig ist Christus dann auferstanden,

wenn ich das spüre,

wenn sich das in meinem Glauben ereignet,

wenn mir die Last meiner Vergangenheit,

meiner Schuld, meiner Irrtümer leicht wird

und wenn ich spüre:

Ja, DU bist bei mir, DU bist nicht tot,

sondern DU erfüllst mein Leben und lässt auch mich wieder lebendig werden:

Wenn mich mein Alltag gefressen hat,

wenn mich meine eigene Traurigkeit bewegungsunfähig macht,

wenn mich die Trauer um einen lieben Menschen aufzehrt,

wenn mich der Leistungsdruck erstarren läßt,

wenn da niemand ist, der mich versteht.

Der Ostermorgen ist der Morgen des Staunens,

denn Gott enttäuscht unsere Erwartungen.

Ich wünsche ihnen allen,

dass er ihre Erwartungen so gut enttäuscht,

wie die Erwartungen der drei Frauen am Grab.

Gott, lass uns auferstehen,

lass uns lebendig werden,

damit wir deine Liebe in unsere Welt tragen,

lass es Ostern werden für die Liebe, das Verständnis und die Toleranz in Deiner Menschheit,

denn dein Friede, der höher ist denn unsre Vernunft,

er bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo Jesu, Amen.

Ralf Sach singt und spielt nun ein von ihm komponiertes Lied, das heute zum ersten Mal erklingt. Es heißt "Der Kapitän" und erzählt von einem Schiff, bei dem es gut wäre, wenn sich der Kapitän wieder auf der Brücke sehen liesse...

Ralf Sach: Der Kapitän