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2. Petrusbrief 1,16-19, 27. Januar 2002, Septuagesimae

Am 27. Janaur 2002 verbindet die Predigt von Ralf-Andreas Gmelin die Anliegen des Sonntags Septuagesimae mit dem gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus. Konfirmandinnen und Konfirmanden haben an diesem Sonntag unterschiedliche Glaubensprofile junger Menschen vorgestellt.

In der Begrüßung hieß es: Eigentlich müssten wir heute drei Gottesdienste feiern, um den Traditionen gerecht zu werden, die mit dem ersten Vorfastensonntag verbunden sind:

Altkirchlich ist heute der Sonntag Septuagesimae, der uns daran erinnert, dass es noch - jedenfalls ungefähr - 70 Tage bis Ostern sind.

Dann feiern wir heute den Bibelsonntag, der daran erinnert, dass der Menschheit die Bibel geschenkt worden ist, in der wir Gottes Wort und Willen finden können.

Und zum Dritten ist heute der Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus, ein Sonntag, an dem Deutsche sich daran erinnern sollen, was in ihrem Namen getan wurde.

Alle drei Anliegen sind wichtig, für sich genommen von Bedeutung - aber wir können ihnen in einem Gottesdienst nicht gleich gerecht werden.

Aber ganz verschwinden werden alle drei Aspekte, alle drei Anliegen in diesem Gottesdienst auch nicht.

Unseren Gottesdienst gestalten auch die Konfirmandinnen und Konfirmanden. Sie werden uns einen Einblick geben, was junge Menschen ihres Alters denken und glauben. Sie werden nachher hier vor uns kein persönliches Glaubensbekenntnis abgeben, sondern die Vielfalt religiöser Möglichkeiten in ihrer Altersgruppe vorspielen. Ralf Sach hat mit den Konfis auch einen musikalischen Beitrag vorbereitet.

Aber nun soll unser Gottesdienst beginnen mit dem Wunsch, dass uns Jesus Christus erleuchten soll mit dem wahren Licht!

Die Predigt folgt der Konfi-Aktion:

Vielen Dank bei allen Konfis, die sich Gedanken gemacht haben, was Jugendliche glauben. Vielen Dank bei den Konfirmandinnen und Konfirmanden, die sich nach vorn gestellt haben, um uns solche Gedanken in dieser Talk-Show vorzuspielen.

Es zeigt auch, das es gar nicht so einfach ist, was Jugendliche denken und glauben.

Dass junge Menschen heute in einer religiösen Umwelt groß werden, in der nichts selbstverständlich ist.

Du wirst vielleicht nach der Familientradition evangelisch getauft.

Dann stellt sich die Frage der Religion höchstens bei einem Umzug, wo ein Kreuzchen zu machen ist.

Und dann erst wieder bei der Einschulung: An welchem Religionsunterricht soll das Kind künftig teilnehmen?

Alles, was sonst mit dem Glauben, mit der Religion, mit dem Bekenntnis zu tun hat, hängt allein von den einzelnen ab. Da und dort wird Kindern noch ein Tischgebet beigebracht, da und dort haben Kinder noch Gelegenheit, vor dem Einschlafen mit Vater oder Mutter zu Beten. Da und dort wird Kindern ein Buch mit biblischen Geschichten vorgelesen. Da und dort gibt es nichts von alledem.

Und wenn Kinder zu Jugendlichen werden, dann flattert ein Brief ins Haus, ob sie ein Jahr lang den Konfirmandenunterricht besuchen wollen. Eine wirklich schwere Frage. Und wir können uns als Gemeinde freuen, dass diese jungen Menschen darauf Ja gesagt haben: Sie nehmen am Konfirmandenunterricht teil und setzen sich damit auseinander, was irgendwann vor über zehn Jahren mit ihnen passiert ist, als ein paar Tropfen Taufwasser ihr Köpfchen nass gemacht hat.

Aber von der Taufe bis heute hat sich einiges getan. Auch im Hinblick auf die Frage: „Was soll ich glauben?"

Von klein auf lernen Kinder und Jugendliche von Plakattafeln und Werbespots die Botschaft, die die alltägliche Reklame uns in den Kopf hämmert: Gib mir dein Geld und ich mach dich glücklich. Wenn du lachen willst, wenn du anerkannt sein willst, dann musst du dein Geld ausgeben. Her damit!

Allein durch Glauben, sagt Martin Luther, soll ein Mensch selig werden.

Allein durch Geldausgeben, sagt die Reklame, soll ein Mensch sein Glück machen.

Mit dieser Botschaft sind die meisten Menschen in unserem Land groß geworden. Und der missionarische Eifer der Werbebranche lässt nichts aus: Farben, Rhythmen, Eros und Musik. Der Erfolg der Werbemission lässt sich leicht in Euro und Cent ausdrücken. Fast heimlich wirken die anderen religiösen Vorstellungen in unserem Land:

Von den großen Weltreligionen sieht man im Grunde nichts, - wenn man nicht will: Man muss schon sehr aufpassen, um evangelische, katholische, jüdische oder muslimische Angebote zu entdecken.

In Szenen toben sich die Randsiedler der Religion aus: Die Jünger des amerikanischen Ron Hubbard suchen zahlungskräftige Opfer für ihre Kurse, psychisch labile Menschen fallen auf die martialische Propaganda satanistischer Krimineller herein. Darüber hinaus wird ein riesiggroßer bunter Blumenstrauß an Kursen und Erfahrungsgruppen angeboten, in denen Menschen einen Widerhall religiöser Gedanken, Gefühle und Interessen erleben.

Wer heute seine religiösen Schienen verlegen möchte, der rollt nicht auf einem sicheren Gleis familiärer Tradition, sondern findet sich in dem Gewirr eines Rangierbahnhofs, dessen Weichen zwar bewegt werden können, wo du aber nicht weißt, wohin dich eine Weichenstellung führen wird.

Am heutigen Sonntag denken wir auch an die, denen im Deutschland der dreißiger Jahre eine moderne Heilslehre angeboten wurde und die mit Inbrunst diese schick an der Sprache der Biologie orientierten Ideologie geglaubt haben. Konfirmandinnen und Konfirmanden der Ringkirchengemeinde wurde damals vor 60 Jahren von dem karrierebewussten Dekan Walter Mulot (1930-1945) ein Glaubensbekenntnis gelehrt, das den Glauben an Blut und Volk zum Ausdruck brachte - Gott und Jesus Christus waren vergessen. Mulot hat sich auch sehr hervorgetan, anderen Mitarbeitern der Ringkirchengemeinde das Leben schwer zu machen und aus dem Dienst zu treiben. Er wurde noch im Herbst 1945 zwangspensioniert.

Am 15. September 1935 predigte dagegen Wilhelm Merten (1933-1965) in der Ringkirche: Durch Jesus Christus „nicht durch das Gesetz, nicht durch eine Nationalreligion, nicht durch unser Blut, sondern nur" durch Jesu Blut werden Menschen befreit.

Der stromlinienförmig angepasste Karrierist und der mutige Bekenner wirkten hier beide an dieser Ringkirchengemeinde und predigten von der gleichen Kanzel, auf der ich hier stehe.

In den Akten der Ringkirchengemeinde findet sich auch ein Schreiben, das davon zeugt, dass es in dieser Gemeinde weitere Menschen gab, die Jesus Christus verbunden blieben - und wenn die Welt voll’ Teufel wär. Der Nazi-Bischof Ernst-Ludwig Dietrich schrieb an den Vorstand der Wiesbadener Gesamtgemeinde 1934:

„Es ist mir zu Ohren gekommen, dass die Gemeindehelferin der Ringkirche, Frau Gertrud Bäumer, dem Vater eines Konfirmanden die Unterstützung zur Einkleidung eines Jungen verweigert haben soll, weil der Vater seinen Sohn in H.-J. Uniform zur Konfirmation schicken wollte. Ich bitte Sie, festzustellen, ob dies den Tatsachen entspricht. Die H.-J. Uniform zur Konfirmation ist durch unsere Bekanntnmachung im Gesetz- & Verordnungsblatt der Evangelischen Landeskirche in Nassau-Hessen Nr. 3 vom 20.2.1934 Seite 17 betreffend Konfirmandenanzug grundsätzlich freigegeben. Es ist unzulässig, wenn derartige Einschränkungsversuche wie der oben erwähnte gemacht werden sollten."

Das Schreiben zeigt, dass sich der Herr Landesbischof persönlich an einer Hetze gegen Gertrud Bäumer beteiligt hat, die sich in dieser Gemeinde im Namen Jesu Christi um arme und notleidende Menschen gekümmert hat. Und es zeigt eben auch, dass auch in den Zeiten, als die Mode ein anderes Bekenntnis gefordert hat, Menschen mutig zu Jesus Christus gehalten haben.

Ein anderes Beispiel aus der Geschichte der Ringkirchengemeinde hat mich besonders berührt: Der gleiche, ehrgeizige und rücksichtslos dem Nationalsozialismus angepasste Bischof Dietrich schrieb dem schon genannten Ringkirchenpfarrer Wilhelm Merten:
„Wie mir berichtet wird, hat Sie im Gottesdienst am 11. August 1935 der seines Amtes enthobene Vikar Zipp vertreten. Die Heranziehung des Zipp als ihren Vertreter war unzulässig und bedeutet eine Verletzung Ihrer Dienstpflichten. Ich beabsichtige daher gegen Sie eine Geldstrafe in Höhe von 200 RM zu verhängen."

Beeindruckt wurde ich wegen der Konsequenz, mit der Menschen an der Ringkirche sich dem modischen Verrat an der Sache des Christentums verschlossen haben, aber berührt wurde ich auch von der Nennung des Namens Zipp: Paul Zipp wurde später Pfarrer in meiner Heimatstadt Gießen und er war mein erster Religionslehrer an der Grundschule.

Ein zerknickter Zettel ist der Durchschlag einer Antwort, die in Berlin-Dahlem am 5. März 1935 auf die Abkehr der Kirche von Jesus Christus gegeben wurde. Hier heißt es:

„Ich bin der Herr dein Gott. Du sollst nicht andere Glötter haben neben mir. Wir gehorchen diesem Gebot allein im Glauben an Jesus Christus, den für uns gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Die neue Religion ist Auflehnung gegen das erste Gebot. In ihr wird die rassisch-völkische Weltanschauung zum Mythus. In ihr werden Blut und Rasse, Volkstum, Ehre und Freiheit zum Abgott."

Der Abgott der Nationalszialisten ist verblasst. Er findet heute kaum noch Anhänger. Das gilt auch angesichts der Regierungskrise, zu der die aktuelle Auseinandersetzung um den Verbot der NPD geführt hat.

Die Abgötter unserer Tage sind hoffentlich alle nicht so mörderisch und menschenverachtend wie dieser.

Aber die Verführungen, mit denen junge Menschen von heute weggelockt werden von Jesus Christus, die sind unverändert mächtig. Und besonders mächtig ist dieser Zug, der in der Rückschau auf das Dritte Reich so schwer nachzuvollziehen ist: Die Sprache der Nazis war das Pathos derer, die eine neue Epoche einläuten wollen. Eine Ausstellung in Darmstadt zeigt derzeit, dass viele Modeerscheinungen der zwanziger Jahre zum Steigbügel des Nationalsozialismus werden konnten, - obwohl sie für sich nicht alle verwerflich waren. Vom Wandervogel über die Reformbewegung bis zur Anthroposophie wurde eine neue Mode eingeübt, in deren Zentrum der Mensch als biologisches Wesen stand. Diese Mode machte es leichter, Menschen zu einem neuen Glauben zu verführen: Dem Glauben an einen Menschen, der nicht von Liebe, sondern vom Kampf ums Dasein getrieben wird. Der heutige Gedenktag denkt an die Opfer, die von dieser Ideologie vernichtet und geschändet wurden.

Ich wünsche uns allen, aber besonders Euch, liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden für alle Momente, in denen es um uns dunkel ist und wir nicht wissen, wohin wir gehen sollen: Dass uns Jesus Christus als der helle Morgenstern aufgeht und wir nicht den finsteren Mächten folgen:

Davon spricht der 2. Petrusbrief im 1. Kapitel (16-19):

„Denn wir sind nicht ausgeklügelten Fabeln gefolgt, als wir euch kundgetan haben die Kraft und das Kommen unseres Herrn Jesus Christus; sondern wir haben seine Herrlichkeit selber gesehen. Denn er empfing von Gott, dem Vater, Ehre und Preis durch eine Stimme, die zu ihm kam von der großen Herrlichkeit: Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe. Und diese Stimme haben wir gehört vom Himmel kommen, als wir mit ihm waren auf dem heiligen Berge. Um so fester haben wir das prophetische Wort, und ihr tut gut daran, daß ihr darauf achtet als auf ein Licht, das da scheint an einem dunklen Ort, bis der Tag anbreche und der Morgenstern aufgehe in euren Herzen."

Ich wünsche uns allen, dass wir den Weg finden, der zur Wahrheit führt, die in der Liebe Gottes offenbar wird. Mach unsere Augen auf für den hellen Stern, den Du uns gesandt hast;

Lass uns aus dem Gewirr der Wege die rechte Straße finden,

denn Dein Friede der höher ist denn alle Vernunft, er bewahre unsre Herzen und Sinne in Christus Jesus Amen.