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Am 17. Sonntag nach Trinitatis, am 7.Oktober 2001, dem Tag, an dessen Abend amerikanische und britische Einsatzkräfte den Krieg gegen das Taliban-Regime eröffneten, war um zehn Uhr morgens in der Ringkirche die Predigt zu einem Taufgottesdienst zu hören, in der Pfarrer Ralf-Andreas Gmelin die Taufsprüche von vier Täuflingen in Bezug zu den aktuellen Konflikten setzte.

Vier Kinder sind in diesem Gottesdienst aufgenommen worden in Gottes lebendige Gemeinschaft.

In eine Gemeinschaft, die nicht identisch ist mit unserer Gemeinde, nicht gleich ist mit unserer Kirche und die sicherlich weder in der katholischen oder orthodoxen Kirche Gestalt angenommen hat.

Ich glaube, dass Gott seine unsichtbare Kirche selbst beruft und dass sie jenseits der Grenzen der Kirchen und Konfessionen lebt und wirkt.

Er hat uns Evangelischen mit allen anderen sichtbaren Kirchen den Auftrag gegeben, für seine Gemeinschaft zu werben, für die Werte einzustehen, die er uns gelehrt hat und etwas davon spürbar werden zu lassen, wofür Jesus Christus in der Weltgeschichte steht.

Ich deute diese vier Taufen in diesem Gottesdienst als ein gutes Zeichen. Vier Kinder, für die ein Weg mit Gott gewünscht wird. In einer Gemeinde, in der fast 30 Konfirmandinnen und Konfirmanden danach fragen, was ihnen ihre Taufe heute als Jugendliche bedeutet. Ich empfinde dies als ein optimistisches Zeichen: Es ist gut, wenn Eltern ihr Kind Gott anvertrauen. Es ist gut, wenn ein Kind den Weg zu der Taufe sucht. Es ist gut, dass Gott diesen Kindern das Versprechen gibt, dass sie zu ihm gehören. Es ist gut, wenn Konfirmanden darum ringen, ob sie mit ihrer Taufe etwas anfangen können oder nicht; und dann zu einer hoffentlich ehrlichen Entscheidung gelangen.

Liebe Gottesdienstgemeinde,

soweit ein christlicher Optimismus. Der Blick nach draußen in die Welt bietet für einen weltlichen Optimismus wenig Anlass. Wir wissen nicht, ob die 78 Menschen in der Maschine der Sibir Airline Opfer eines Unfalls, oder die jüngsten Opfer des fortschreitenden Terrorismus wurden. Das schreckliche Geschehen am 11. September wirkt nach. Es hat uns gezeigt, wie dünn das Eis ist, auf dem der Friede dieser Welt steht. Es hat uns bewiesen, das jeder regionale Konflikt, sei es in Palästina oder im Irak jederzeit zum Weltbrand aufflackern kann. Wir sind um die Illusion ärmer geworden, dass der Hass zwischen Israel und Palästina weit weg von hier ist und dass wir mit diesem Konflikt nichts zu tun hätten.

Was sich rings um Afghanistan zusammenbraut, wissen wir noch nicht. Wir wissen auch nicht, welche Antwort eine militärische oder polizeiliche Intervention bei den Verursachern des Terroranschlags herausfordern wird.

Eine Umfrage des Time magazine ergab, dass die Angst der Gewinner der Terroranschlages ist:

Mehr als die Hälfte aller befragten Amerikaner rechnen mit langen Kriegshandlungen; mehr als 80 Prozent halten einen neuen Terrorakt in absehbarer Zeit für wahrscheinlich. 63 Prozent befürchten, dass ein militärischer Einsatz der USA in Afghanistan einen Terrorangriff zur Folge haben wird. Und wie sich die Befragten den Anschlag ausmalen, stimmt auch bedenklich: Dreiviertel rechnen mit einer Lkw-Bombe, mehr als die Hälfte mit einem Schlag mit biologisch oder chemischen Waffen und fast ein Viertel kann sich sogar einen nuklearen Terroranschlag vorstellen.

Auf die Frage, was die Menschen für Massnahmen ergriffen hätten in Folge des Terroranschlags, haben 67 Prozent geantwortet, sie hätten gebetet oder einen Gottesdienst besucht. Was kommt in dieser Zahl zum Ausdruck?

Eine Frage, die wir uns auch gestellt haben angesichts der Gottesdienste am 12. September in Deutschland, - in Berlin und hier in Wiesbaden. Was kam hier in unserer Stadt zum Ausdruck, als sich 450 Menschen um 12 Uhr mittags in der Ringkirche einfanden, um miteinander einen Gottesdienst zu feiern und zu beten?

Ist das mehr als nur ein Ausdruck von Hilflosigkeit angesichts des Schreckens? Welche Art von Religiosität wird von solchen Ereignissen ausgelöst und führt Christen, Muslime und Konfessionslose hier in dieser Kirche zusammen? -

„Reinige Dein Herz und vergiss das, was Leben genannt wird. Vorbei ist die Zeit des Spielens, die Zeit der Wahrheit ist da. .. Gott wird Dich von Deinen Sünden erlösen und sei versichert, dass Dich nur noch Augenblicke von der höchsten und größten Belohnung trennen."

Das sind Worte in einer vertraut frommen Sprache für einen Inhalt, der eindeutig und klar lebenszerstörende Folgen hat. Sie entstammen dem Nachlass, den der Terrorist Mohammad Atta in seinem Mietwagen zurückließ, bevor er in die Maschine einstieg, die er in den Nordturm des World Trade Centers flog.

Zu den Aufgaben der Zukunft wird es gehören, die Geister zu scheiden. Es gibt im Isalm viele Gläubige, die im Djihad den immerwährenden Kampf gegen Armut und Ungerechtigkeit sehen. Sie können wir an der Seite unserer christlichen Religion akzeptieren und ihr Ringen anerkennen im Sinne unseres eigenen Gottes. Wer die religiöse Sprache in den Dienst stellt für lebensvernichtende Aktionen - wie auch immer sie begründet sein mögen - der muss in seinem gottwidrigen Denken bloßgestellt und verurteilt werden. Hier hat Toleranz keinen Platz.

Wir können uns eine Welt vorstellen, in der Armut und Ungerechtigkeit ein Ende finden, in der Völker gleichberechtigt sind und wirtschaftliche oder politische Unterdrückung keinen Platz mehr haben. „Alle Dinge sind möglich, dem der da glaubt." An diese utopische Vision hat uns Merets Taufspruch erinnert und dieser Satz soll ihr und uns Mut machen, dass es sich lohnt, dafür zu ringen.

Dass dieser Glaube ein Fundament hat, das nicht Hirngespinsten und leeren Phantasien entsprungen ist, sondern verhindert, dass die Welt ihrer Gnadenlosigkeit überlassen bleibt, daran gemahnt uns das Psalmwort, dass Gottes Güte reicht, so weit der Himmel ist, dass Gottes Wahrheit reicht, so weit die Wolken gehen. Der Taufspruch für Philipp setzt sich dafür ein, dass die Welt nicht aus Rache und Vergeltung bestehen muss, aus Schuld und Sühne. Gottes Güte ist ein Bekenntnis für ein Leben, das sich auch im mörderischen Hass Bahn bricht.

Wie das geht, was jeder von uns tun soll, dazu leitet das uns das Wort aus dem Römerbrief an, das wir Teresa mitgegeben haben: Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. Das wirkmächtigste Lob Gottes ist das, was wir unseren Nächsten spürbar werden lassen. Das beste Vorbild ist das, was uns Jesus Christus gegeben hat: Er nimmt uns an, obwohl wir nicht so sind, wie wir um Gottes Willen sein sollen. Ein gutes Vorbild für uns, die wir damit Probleme haben, andere so zu akzeptieren, wie sie nun einmal sind. Das gilt für einzelne Personen wie für Völker.

Und schließlich ist all das die Grundlage für den Taufspruch, der Niklas begleiten soll und der uns davon abhalten will, uns in Angst und Sorge zu verzehren: Nichts Besseres gibt es als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben.

Unabhängig, was die nächsten Monate bringen: Gott gibt uns Gründe für einen Optimismus, der sich von all den berechtigten Gründen für einen abgrundtiefen Pessimismus nicht kleinkriegen lässt. Skepsis und Misstrauen werden die Zukunft bestimmen. Sicherheitsmaßnahmen und Kontrollen werden der spürbare Ausdruck davon sein. Wichtiger als das wird in unserer Welt die Scheidung der Geister sein: Steht ein Glauben und Denken auf der Seite des Lebens oder wird ein Bekenntnis für Lebensvernichter und Mörder abgelegt. Nicht nur Christen werden diese Scheidung der Geister vornehmen müssen und als die Feinde des Lebens werden ganz sicher viel mehr zu überführen sein, als einige islamische Fundamentalisten.

Aber wir Christen haben von Jesus das Gebot bekommen, diese Frage besonders ernst zu nehmen: Wir sollen uns untereinander lieben, wie Jesus uns geliebt hat, auf dass wir einander lieb haben. Denn das ist das Kennzeichen, dass wir auf der Seite des Lebens stehen: "Dabei wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, so ihr Liebe untereinander habt."

Ich wünsche uns allen, dass wir diese Liebe leben können und dass wir uns immer kritisch befragen, ob wir auf der Seite des Lebens stehen. Und ich wünsche mir, dass unsere vier Täuflinge in eine Welt hineinwachsen, die nicht von der Konflikten der Gegenwart verdunkelt wird, sondern in eine Welt des Lichts, in der das Streben um Liebe der Beweis dafür ist, dass Menschen auf der Seite Gottes stehen, unabhängig von den Grenzen, die Menschen einst aufgerichtet haben.

Dazu verhilf DU uns, Gott, denn Dein Friede, der höher ist denn alle unsere Vernunft, er bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo Jesu, Amen.