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Am 13. Sonntag nach Trinitatis predigt Pfarrer Ralf-Andreas Gmelin über Matthäus 6,1: "Habt acht auf eure Frömmigkeit, dass ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel."

Liebe Gottesdienstgemeinde,

sind Sie heute stolz erhobenen Hauptes in die Kirche gekommen?

Haben Sie verächtlich auf die geschlossenen Läden der schlafenden Menschen im Rheingauviertel geschaut?

Habt Ihr Konfirmandinnen und Konfirmanden Euch gedacht: Was für ein Glück, dass ich in die Kirche gehe, während meine Klassenkameraden gottlos weiterschlafen?

Ich fürchte, meine Fragen ernten drei Mal „Fehlanzeige":

Nein, wir gehen nicht stolz und eingebildet in die Kirche.

Nein, wir schauen nicht verächtlich auf die herab, die den Weg in die Kirche nicht finden.

Nein, Konfirmandinnen und Konfirmanden empfinden es nicht als Glück, zum Gottesdienst verpflichtet zu sein.

Diese öffentliche Anerkennung genießen andere Einrichtungen: Jetzt im Augenblick füllt sich langsam Käfers Restaurant mit einem statusbewussten Publikum, das es sich was kosten lässt, am Sonntag elitär zu frühstücken. Auch abends finden die Schönen, Reichen und Trendorientierten aller Altersgruppen ihre Treffpunkte. Unsere Zeit bietet zahllose Tempel, für die die Mahnung von Jesus Christus besser passt, als für die Gemeinschaft der Wenigen, die sich in dessen Namen versammeln.

Für die Menschen, die Kirchen nur von außen kennen, für die, die höchstens im Urlaub mal durch eine Kirchentür schlüpfen, um sie wie ein Museum zu bewundern, für diese Menschen sieht das anders aus:

Zu den Stereotypen unserer entchristlichten Gesellschaft gehört, dass Kirchgänger, „jeden Sonntag in die Kirche rennen".

Ich habe uns alle heute morgen nicht rennen sehen.

Wer sich für nüchterne Zahlen interessiert: Nur etwa 10 Prozent gehen jeden Sonntag, und etwa 16 Prozent gehen ein paarmal im Jahr in den Gottesdienst. Ein Viertel aller Protestanten geht zu persönlichen Anlässen oder am heiligen Abend in die Kirche. Und über 40 Prozent aller Evangelischen gehen niemals zum Gottesdienst.


Zu den Vorwürfen derer, die am Sonntagmorgen lieber an der Matratze horchen, gehört es, dass Kirchgänger missgünstig auf den Rest der Menschheit schauen. Dabei ist es genau umgekehrt: Wer sich in Deutschland zu seinem Glauben bekennt, kann sicher sein, dass ihn die veröffentlichte Meinung irgendwelcher verqueren Gefühle verdächtigt. Sportler, Schauspieler oder Politiker sollten sich besser nicht beim Kirchgang erwischen lassen.

Und damit gilt heute in Deutschland im Grunde das Gegenteil von dem, was im Matthäusevangelium steht:

„Habt acht auf eure Frömmigkeit, daß ihr die nicht übt vor den Leuten, um von ihnen gesehen zu werden; ihr habt sonst keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel."

Wenn uns die Leute sehen, dass wir ein christliches Leben führen - oder uns doch wenigstes darum bemühen, dann gewinnen wir nicht ihre Achtung, sondern im Gegenteil: Wir müssen mit ihrem bösen Geschwätz rechnen.

Der alte Satz von Jesus gesprochen in einem frommen Land, verkehrt sich in einem entchristlichten Land in eine völlig andere Aussage:

„Ihr braucht Mut, um Euch nicht um das zu scheren, was andere denken, wenn sie euch sehen, zum Beispiel, wenn ihr in die Kirche geht."

Christen, die ihren Glauben ernst nehmen, sind längst eine verschwindende Minderheit geworden. Und zum Ernstnehmen des Glaubens gehört, dass ich mich nicht damit zufrieden gebe, dass ich halt so meinen Glauben habe.

Die, die mit ihrem Glauben zufrieden sind, so wie er halt nun mal ist, die sind jetzt friedlich am Frühstücken:

„Ich hab meinen Glauben und dafür muss ich noch lange nicht in die Kirche rennen." Mit seinem Glauben zufrieden sein heißt, ihn nicht ernst nehmen. Zum Glauben gehört immer ein Ringen.

Dazu gehört immer, diesen Glauben erschüttern zu lassen.

In den Gottesdienst gehen heißt, sich auf eine solche Erschütterung einzulassen. Den Feiertag heiligen, wie es das dritte Gebot fordert, heißt also wesentlich mehr, als bloß am Sonntag die Geschäfte geschlossen zu halten. Martin Luther übersetzt „den Feiertag heiligen" zurecht:

„Wir sollen Gott fürchten und lieben, dass wir die Predigt und sein Wort nicht verachten, sondern dasselbe heilig halten, gerne hören und lernen."

Sind wir dazu bereit? Haben wir den Mut, uns von Gott herausfordern zu lassen.

Von Gott, nicht vom Pfarrer.

Sind wir bereit, etwas von dem Leben, das wir von Gott geschenkt bekommen haben, heilig zu halten. Und damit, etwas von der Zeit, die wir zur Verfügung haben, an Gott zurückzugeben?

Heilig halten, das heißt: Etwas Gott widmen. Die knappe Stunde am Sonntag frei halten von dem alltäglichen Kampf um meinen Vorteil, von dem stetigen Ringkampf um Lust und Spaß. Heilig halten heißt, auf den ganz normalen Kampf ums Dasein einen Augenblick lang verzichten. Und - zum Beispiel im Gottesdienst danach suchen, was Gott von mir will.

Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,

für Euch ist vieles neu gewesen, was Ihr hier im Gottesdienst kennenlernt:

Merkwürdige alte Worte wie das Vaterunser, die Zumutung, selber uralte Lieder singen zu sollen, statt neueste Hits zu hören und dann noch eine Predigt, bei der nichts passiert, außer dass da einer redet.

Eure Aufgabe ist es, wie unserer aller Aufgabe durch dieses Gemsich aus Altem und Neuen hindurch die Stimme Gottes zu suchen, die jeden von Euch ruft.

Liebe Eltern und Paten von Sandra Chantal:

Euer Taufversprechen für dieses Kind erlegt Euch auf, dass Ihr Euch fragt: Wie ernst nehmt Ihr Euren Glauben? Wie glaubwürdig ist Euer Ja zu der Taufe eines Kindes, wenn Ihr die Suche nach Gottes Weg für Euch aufgegeben habt?

Wie schwer haben es Kinder und Jugendliche die Antwort in ihrer Konfi-Zeit zu finden, ob sie zu ihrer Taufe stehen wollen oder nicht, wenn Glaube, Kirche, Christentum dreizehn Jahre lang kein Thema war. Kein Wunder, dass Konfirmanden auf die Frage, warum sie dabeibleiben am liebsten antworten: Für das Geld, was bei der Konfirmation winkt. Diesen Kult haben sie bereits gründlich kennengelernt.

Wer heute Ja zu seiner Taufe sagt, wer Ja sagt zu seinem Christsein, der braucht eine Menge Mut. Der christliche Glaube verspricht: Wenn Du diesen Mut aufbringst, bist Du fröhlicher, erfüllter und beschenkter als andere Menschen.

Darum ist Glaube ein Wagnis, ein Sprung in eine unauslotbare Tiefe. Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden, wir wollen Euch Mut machen, in Euren Glauben zu springen; das erspart es Euch, von irgendwelchen Türmen oder Kränen in ein Gummiseil zu hüpfen. Als Erwachsener wünsche ich mir den Mut, mit Euch gemeinsam zu springen, denn Glaube ist niemals fertig, er braucht immer wieder neu den Mut zum Absprung. Für unseren Täufling Sandra Chantal wünschen wir, dass auch sie diesen Mut finden wird. Uns allen wünsche ich, dass wir nach unserem Absprung aufgefangen werden von Gottes Liebe, die uns zurück in eine Welt federt, die dringend Liebe braucht; göttliche Liebe!

Dazu verhelfe uns Gott:

Gott, schenk uns diesen Mut, uns auf Dich zu stürzen, und die Geduld, auf DEIN Wort für uns zu warten, denn dein Friede, der höher ist denn alle Vernunft, er bewahre unsre Herzen und Sinne in Christo Jesu, Amen.