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Predigt am 5. Sonntag nach Trinitatis zu Lukas 14,25-35
Von Ralf-Andreas Gmelin

Es ging aber eine große Menge mit ihm; und er wandte sich um und sprach zu
ihnen:
Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder,
Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.
Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger
sein.
Denn wer ist unter euch, der einen Turm bauen will und setzt sich nicht
zuvor hin und überschlägt die Kosten, ob er genug habe, um es auszuführen, -
damit nicht, wenn er den Grund gelegt hat und kann's nicht ausführen, alle,
die es sehen, anfangen, über ihn zu spotten,
und sagen: Dieser Mensch hat angefangen zu bauen und kann's nicht ausführen?
Oder welcher König will sich auf einen Krieg einlassen gegen einen andern
König und setzt sich nicht zuvor hin und hält Rat, ob er mit Zehntausend dem
begegnen kann, der über ihn kommt mit Zwanzigtausend?
Wenn nicht, so schickt er eine Gesandtschaft, solange jener noch fern ist,
und bittet um Frieden.
So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von allem, was er hat, der
kann nicht mein Jünger sein.

+++

Ungemütlich. Was, wenn Jesus jetzt vor Euch stünde. Jesus und nicht ein
Pfarrer. Der Pfarrer, also ich, bin einer von Euch: Inkonsequent, wankelmütig,
schwankend und immer im Zweifel, was Gott von mir eigentlich will.
Ungemütlich. Wenn Jesus mich oder Euch jetzt vor die Alternative stellt:
"Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder,
Brüder, Schwestern und dazu sich selbst, der kann nicht mein Jünger sein.
Und wer nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger
sein."
Wenn Jesus zu mir spricht, dann kann ich ihm natürlich entgegnen: Du,
ausgerechnet Du möchtest, dass ich hasse? "Wenn jemand zu mir kommt und hasst nicht
seinen Vater, Mutter, Frau, Kinder, Brüder, Schwestern und dazu sich selbst,
der kann nicht mein Jünger sein." -
Ich aber sage Dir, was Du mir gesagt hast: Wer seinen Bruder hasset ist ein
Totschläger!
Und jetzt soll ich zum Totschläger an meiner Familie werden?
Fein raus, Kopf aus der Schlinge, das sitzt. Du Jesus bist unlogisch. Du
kannst nicht zugleich Hass und Nicht-Hass predigen. Punkt.

Mein logischer Triumph schrumpelt in Sekunden zu einem Häuflein Asche
zusammen. Was Jesus mir vor Augen stellt, ist nicht die Rechtfertigung, dass mir
meine Liebsten gerade egal sein dürfen: Wenn ich zu Jesus komme, dann darf es
mir völlig gleichgültig sein, wie sich meine Mutter im Altenheim fühlt, wie
meine Geschwister ihr Leben bewältigen - oder nicht - oder wie sich meine Frau
an meiner Seite fühlt.

Was mir Jesus vor Augen stellt, ist die Radikalität, mit der sich sein Reich
von dem Leben auf der Erde unterscheidet:

Alle Bindungen - gerade wiel sie hier auf der Erde gut, richtig und wertvoll
sind - alle diese Bindungen spielen im Reich Gottes keine Rolle. Alle
Gemeinschaft, die im Leben auch klug ist, weil wir nur in einer Gemeinschaft
überleben können, ist unwesentlich, wenn ich fest verbunden bin mit dem Gott des
Lebens: Gott braucht nicht Mann und Frau, um Leben zu schaffen. Gott braucht
nicht eine Familie, um die wirtschaftliche Versorgung von Leben zu
gewährleisten. ER ist die Quelle des Lebens und darum ist SEIN Reich ganz anders. Diesen
Abstand zwischen Gott und Mensch markiert Jesus Christus. Und darum predigt
er den Hass, obwohl er zur Liebe führen möchte. Un darum predigt er auch die
Bereitschaft zum Leiden, obwohl er die Frohe Botschaft verkündet: "Und wer
nicht sein Kreuz trägt und mir nachfolgt, der kann nicht mein Jünger sein."

Für dieses Reich stehen die christlichen Kirchen in der Welt. Und als
Abglanz eines solchen Reiches steht auch die Ringkirche hier auf ihrer
Verkehrsinsel. Und dieses ferne göttliche Reich ist auch dafür verantwortlich, wenn
Menschen die Kirche weiter weg ist als der Mond.
Dies unbekannte fremde Reich nährt die Angst vor solchen alten Gemäuern, vor
alten Gefühlen und den befremdlichen Vorstellungen aus dem alten Buch, der
Bibel.

Sie kennen dies Gefühl vielleicht auch. Vielleicht hatten Sie auch mal eine
Phase in Ihrem Leben, als die Kirche so weit weg war wie Neptun, Mars und
Uranus?

Wie finde ich die Gemeinschaft derer, die von dem fernen Reich Gottes etwas
erwarten?

Was hat Sie heute morgen dazu gebracht, den Weg in die Ringkirche zu nehmen?
Um hier eine altmodische liturgische Feier zu besuchen, die trotz Cyberspace
und Internet noch immer stattfindet. Mit Kerzen, Pfeifenorgel und der
Zumutung selbst singen zu sollen, statt den Lautstärkeregler hochzufahren.

Was würde Jesus hier zu uns sagen?
Würde er staunen über diese Ringkirche?
Empfände er sie als Abbild des Reiches Gottes?
Würde er seinen Engeln befehlen, hier an diesem Ort den Kontakt zu Menschen
zu suchen?
Oder würde er empört sein?
Würde er sich hier wie zu hause fühlen?
Oder wäre ihm das alles ganz egal?

Wir wissen nicht, was der freundliche Wanderprediger vom See Genezareth
sagen würde, aber empfehlen, noch einmal in die Bibel zu schauen: Jesus Christus
drängt uns, uns für das absurde, fremde und ferne Reich Gottes zu
entscheiden. Nicht darauf zu setzen, was in der Welt geschickt, effizient und
erfolgfversprechend ist, sondern auf das, was mit der Quelle des Lebens mit Gott selbst
verbindet.
Das Vertrauen in den, von dem alles Leben stammt, lohnt sich, es würde sich
auszahlen,-wenn es im Reich Gottes noch auf Zahlen und Figuren ankäme.

Unser Weg ist weit, bis wir den Mut haben, ganz auf das Reich Gottes zu
setzen, bis wir zum Leiden bereit sind und bis wir uns ganz auf das Abenteuer
mit Gott einlassen. "So auch jeder unter euch, der sich nicht lossagt von
allem, was er hat, der kann nicht mein Jünger sein."
Und vielleicht ist das der Grund, warum unsere christliche Gemeinschaft
nicht ansteckender wirkt.
Vielleicht ist unser Vertrauen in Gottes Reich nicht stark genug.
Vielleicht ist unsere Begeisterung nicht ansteckend genug.
Vielleicht sind uns die zweitwichtigen Dinge, um die sich unser Erdenleben
dreht, einfach noch viel zu wichtig.

Da hilft nur eins:
Fangen wir neu an mit unserem Vertrauen.
Fragen wir nach dem fernen, fremden Reich.
Versuchen wir, auf die Stimme zu hören, durch die das Reich Gottes auf Erden
wächst.
Ich wünsche uns, dass unser Vertrauen wächst,
dass Gott uns seine Nähe zeigt
und dass der heilige Geist uns heute und an allen Tagen neue Wege zu diesem
Reich zeigt.
Ja, komm, Herr Jesus!
Denn Dein Friede, der höher ist denn alle Vernunft, er bewahre unsre Herzen
und Sinne in Christo Jesu, Amen.